Montag, 22. September 2014

Nappy, das einsame Profil - Einleitung

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Es gab einmal eine Zeit, in der die wenigen Stützen der Gesellschaft die komplette Wirtschaft in ihren Händen hielten. Diese Konzerne waren Produzenten von elektronischen Dingelchen, ess- und trinkbarem Zeugs, Anziehsachen sowie von Gerüchten und Neuigkeiten. Die Etablierung sogenannter Sozialer Netzwerke hatte ihnen einen solch rasanten Auftrieb gegeben, daß der Konkurrenzkampf verschiedener Marken des gleichen Produkts mühelos von ihnen gelenkt werden konnte. Die großen Konflikte der Zeit waren zum Beispiel die Entscheidung für oder gegen Apple oder ob die X-Box besser sei als die Playstation. Hin und wieder mussten die Konzerne eingestehen, daß die verschiedenen Hersteller ihrer Produkte der gleichen Firma gehörten. Kam das ans Tageslicht, schmunzelte das Volk kurz und setzte den gewohnten Alltag fort.

Die Aussteiger waren wenige an der Zahl. Genaue Schätzungen gab es nicht oder wurden zurückgehalten. Deutlich erkennbar war allerdings die Loyalität unter den Rebellierenden. Die Opfer war keine Organisation in herkömmlicher Form, sondern ein aktionistischer Bund, der familienähnliche Strukturen hatte. Die Regierung, eine Koalition, die sich den Namen Die Sanften gegeben hatte, scheiterte mehrmals bei der Infiltration. Kein Agent wurde jemals wiedergesehen, nachdem man ihn eingeschleust hatte. Die Hauptstrategie der Sanften war es, alles, was die Opfer betraf, vom staatstragenden Volk fernzuhalten.

Jeder Mensch besaß im Durchschnitt 3,7 Profile. Es gab offizielle Kampagnen gegen die massenhafte Verschwendung von Profilen. Allgegenwärtig mahnten Prominente mit höchstem Bekanntheitsgrad, die Premproms, stellvertretend für die Sanften für einen verantwortungsvollen Umgang mit Profilen. Die Kampagne hatte offensichtliche Schwachpunkte, die von den Medien beflissentlich thematisiert wurden. Widersprüche wurden aufgedeckt, unseriöse Machenschaften an den Pranger gestellt, Premproms beim Profilverschwenden ertappt und vorgeführt. Die stümperhafte Vorgehensweise der Medien führte zusammen mit den bewußt unbeholfenen Erklärungen der Sanften dazu, daß Menschen, die sich nur wenige Profile zugelegt hatten, verdächtig erschienen. Der Besitz möglichst vieler unterschiedlicher Profile war auf diese Weise zu einem Statussymbol geworden. Ein Schachzug, der die gemeinsame Strategie der Sanften, der Medien und der Premproms in die Geschichtsbücher brachte. Es war gelungen, die Verantwortung für die Verschwendung der Profile dem ehemaligen Individuum zuzuschieben. Jedes einzelne Profil bedeutete Wachstum und trug zum Bruttosozialprodukt bei. Selbst wenn ein Profil nur hin und wieder benutzt wurde, damit die Belästigungen durch Konzerne wie Anozom oder Giggle eine kurze Zeit aufhörten, hatte es doch Einfluß auf die wirtschaftliche Entwicklung.

Der Wahrheitsgehalt eines Profiles war kein diskussionswürdiges Thema. Wer erfahren wollte, was an einem Profil nicht mit der Realität übereinstimmte, gab einfach einen Auftrag an Gotya, einer zum Monopolisten aufgestiegenen Agentur, die durch den Abgleich frei zugänglicher Informationen die Fehler filterte und ein bereinigtes Profil hinterliess, welches so detailreich und genau war, daß der Inhaber über sich selbst noch Dinge erfuhr, die er nicht für möglich gehalten hatte. Der Gründer von Gotya, Elmor Phap, hatte seine Firma an Giggle verkauft, nachdem er sich selbst analysiert hatte. Er räumte sein Konto leer, legte alle seine Profile ab und verschwand unauffindbar. Eine häufig verbreitete Theorie über sein Verschwinden ist sein Anschluß an die Opfer. In der Vorweihnachtszeit, also ab August eines jeden Jahres vermehren sich aber auch die Berichte über Sichtungen Phaps. Nicht wenige fanden auf diese Weise ihren Glauben an den Weihnachtsmann wieder.

Nappy erwachte, als die Mittagssonne seine geschlossenen Augen blendete. Es versuchte, dem gleißenden Licht zu entkommen, indem es sich auf die andere Seite drehte. Dabei bemerkte es, daß es auf einer Wiese lag und nicht in einem Bett. Nappy setzte sich auf, würgte und spuckte aus. Das Ausgespuckte lief mit schnellen Schritten seiner acht Beine davon. Die Erinnerung hielt langsam Einzug, wollte aber nicht so recht passen. Nappy kramte in seiner löchrigen Hose nach Kleingeld, fand eine 20 Euro Münze und ging zu dem Getränkeautomaten von kanüle (kalt-natürlich-lecker), der durch das ohrenbetäubend laute Abspielen des aus der Werbung bekannten Jingles leicht zu finden war. Als die Münze klackernd im kanüle verschwand, unterbrach dessen Frage nach der Auswahl die Melodienschleife.
kanüle: "Hallo. Was suchst Du?"
Nappy antwortete: "Bitter Lemon."
kanüle: "Du möchtest Peter lemmen. Ist das korrekt?"
Nappy: "Nein. Bitter Lemon."
kanüle: "Du möchtest Wieder Lernen. Ist das korrekt?"
Nappy: "Verdammt nein. Gib mir eine Flasche Bitter Lemon. Zweiter Schacht von rechts, von von mir aus gesehen"
kanüle: "Du möchtest verdammt neun die wie eine Flasche wieder lernen zweiter Schachbrett mir ausgehen? Ist das korrekt?"
Nappys Grantigkeit wurde grantiger: "Ja, das ist korrekt"
kanüle: "Leider steht verdammt neun die wie eine Flasche wieder lernen zweiter Schachbrett mir ausgehen zur Zeit nicht zur Verfügung. Bitte wähle ein anderes Produkt."
Nappy bemühte sich, ruhig zu bleiben: "Gib mir mein Geld zurück"
kanüle: "Du möchtest Gibt es Mittel zur Gewinnmarge rück? Ist das korrekt?"
Nappy: "Hör mal zu, Freundchen. Ich weiß, daß du mich genau verstanden hast. So dämlich die Spracherkennung auch ist, sie zwingt dich nicht dazu, mich zu verarschen. Also entweder, Du spuckst jetzt eine Flasche Bitter Lemon aus oder ich verpass Dir einen Neustart mit unzulässigen Treibern. Ich hab das Windows 8 Logo auf deiner Rückseite gesehen. Du willst doch nicht als Raubkopie mit gecrackten Vista-Treibern enden, oder?"
In kanüles Innerem rumorte es. Es zischte, klongte und sprotzte. Dann plumpsten 2 Flaschen Bitter Lemon ins Ausgabefach.
"Bitte sehr. Wart mal kurz!" kanüle machte Geräusche, als hatte er nach 2 Wochen Verstopfung wieder Stuhlgang.
Dann sprach er: "Man soll mit dem anfangen, womit man aufgehört hat. Ich hab Dich gestern abend beobachtet. Du gehörst niemandem mehr. Dein Benutzer hat dich hier abgelegt. Kapiert? Du bist ein herrenloses Profil, und ich würde an deiner Stelle nicht so einen Wind machen. Hier sind einige Streiflinge unterwegs. Wenn die dich schnappen, bist Du weg vom Fenster. Nimm die Flaschen und verpfeif Dich, Arschloch."
Nappy blickte in das Ausgabefach, wo eine Flasche Kulmentruller Kolterplacke erschienen war. "73% Alkohol" raunzte der Automat. Nappy nahm die Flaschen an sich, sah sich mürrisch um und ging so unauffällig wie möglich zur Bahn-Station. "Danke" flüsterte Nappy kanüle zu.

Im Bahnhof ging Nappy zur Toilette und kippte einen Schluck Kolterplacke hinunter. Die Wirkung setzte innerhalb von Sekunden ein. Nappy wunderte sich jedesmal, warum das Zeug nicht verboten war, so wie andere, wesentlich wirkungslosere Drogen. Die Erinnerung an die Nacht zuvor erklärte einiges, was Nappy nicht verstanden hatte. Nappy war das Profil eines 39-jährigen Mannes. Dieser Mann hatte es für eine Dating-Seite im Internet erstellt.
"Fickportal" murmelte Nappy, "Scheiße! Fickportal."
Viel Erfolg hatte der Mann damit nicht gehabt, das war Nappy klar, denn soweit es sich erinnerte, kam keine Verabredung zustande. "Naja, kein Wunder, stopfen.de. Wenns mal schlecht läuft, dann so richtig." Ein bizarrer Gedanke formte sich und Nappy sprach leise vor sich hin:
"Ein Mensch, der kein Profil hat, ist zwar eine arme Sau, aber er kann auch ohne Profil leben. Aber was ist mit mir? Bin ich im Delirium? Wie kann ein Profil, was ich zweifellos bin, ohne den Menschen existieren, Getränke kaufen, im Bahnhofsklo rumlungern? Was läuft denn hier ab?"
Nappy sah in den Spiegel und verstand. Genauer ausgedrückt, Nappy fand eine Erklärung. Das Nappy-Profil war gar nicht herrenlos, es war nur auf einen anderen Menschen übergegangen. "Einerseits erfreulich, weil ich von diesem verlausten Körper wieder wegkommen kann, andererseits schade, daß ich einen Menschen brauche. Ohne wär ich besser dran."
"Bist Du da so sicher?" fragte eine mechanisch klingende Stimme. "Schau mich an. Würdest Du lieber mit mir tauschen? Ich nehm Dir den Penner gerne ab, wenn Du dafür die Kloschüssel nimmst." Die Toilette, auf der Nappy vor kurzem gesessen hatte, sprach laut und deutlich. Nappy blickte auf die Flasche.
"Vergiß es, die Kolterplacke hat nichts damit zu tun. Es ist wahr, ich bin das Profil einer Kloschüssel. Jedenfalls vorübergehend. Frag nicht, wie ich sprechen kann. Das ist nicht leicht zu erklären. Ich habs auch nicht kapiert. Es scheint aber so zu sein, daß wir Profile, sind wir einmal herrenlos geworden, so etwas wie eine Sprache entwickeln, die nur wir verstehen."
Die Erklärung der Kloschüssel wurde durch einen Blick in den Spiegel bestätigt. Als Nappy zu der Kloschüssel sprach, blieb das Gesicht im Spiegel unverändert.
"Unfaßbar abgefahren. Das ist die durchgeknallteste Psychose, die ich je hatte."
"Du wirst an meine Worte denken. Klar, Du bist verwirrt, aber pass trotzdem auf, daß Du nicht eingefangen wirst. Hüte Dich vor den Streiflingen. Da ist was am Start, so viele hat es hier lange nicht gegeben. Und sie sind brutal aufdringlich. Am besten sprichst Du nicht mehr."
Nappy traute der Kloschüssel nicht recht, beschloß aber für alle Fälle vorsichtig zu sein, bis die Kolterplacke ihre Wirkung verlor.